Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die grösste unter ihnen aber ist die Liebe.

1. Korinther 13,13

«Ich konnte den unbestimmten Zwischenstand nun nicht länger ertragen, sondern suchte unter meinen Sachen nach feinem Papier, um einen Brief an meine Mutter zu schreiben, den ersten in meinem Leben. Als ich ganz zu oberst am Rande das „Liebe Mutter!“ hinsetzte, schwebte sie mir in einem neuen Lichte vor.»

Gottfried Keller

Liebe Leserinnen und Leser,

Als wir vor noch nicht allzu langer Zeit anfingen, für unseren Umzug nach Zimmerwald Kisten zu packen, kamen mir alte Briefe in die Hand.

Ich fing an, sie zu lesen und fand kleine Briefchen von mir und meinen Geschwistern an unsere Mutter zum Muttertag und die Worte auf diesen Kärtchen, liebevoll bemalt, erinnerten mich an eine Liste, die drei Kinder im Alter von vierzehn, elf und fünf einmal geschrieben haben.

Sie schrieben eine Liste, für was eine Mutter alles gut ist – schmunzeln erwünscht -: zum Unterschreiben von schlechten Noten, zum Entfernen eines Splitters im Finger, zum Erinnern an all das, was wir ohne ihr Ermahnen sicher vergessen hätten.

In dieser Zeit, in der viele Eltern die Kinder im Homeschooling und gleichzeitigem Homeoffice, Homecleaning, Homeentertaining begleiten, gilt dies ganz besonders!

Zum Streiten, zum in die Arme genommen werden.

In dieser Zeit, in der ältere Eltern und Grosseltern nicht mehr besucht werden können, vermissen dies viele und freuen sich, wenn wir es wieder dürfen!

Zum Schlichten, wenn es Streit gibt, zum Flicken, zum Aufheitern, als zuverlässiger Wecker, als Blitzableiter, zum Verwöhnen, zum Trösten, zum Gernhaben, wenn niemand es sonst tut, zum Bewundern, wenn es sonst niemand tut. Mütter können viel, machen Fehler, lernen aus ihren Fehlern und haben ihre blinden Flecken, sind wunderbar und manchmal schwierig, sind herzlich und auch überfordert – sie sind wie sie sind, und sie sind gut so und auf jeden Fall meist besser, als sie selber von sich denken!

Was würde in einem Brief stehen, den Sie Ihrer Mutter heute schreiben würden?

Wir alle haben eine Mutter und unsere Mütter werden mit uns älter – und sind uns vielleicht bereits voraus gegangen.

  • Was ist oder war Ihre Mutter für ein Mensch?
  • Was liebt oder liebte sie?
  • Was hat oder hatte sie gerne?
  • Wann lachen Sie mit ihr oder haben sie miteinander gelacht?
  • Wenn Sie an sie denken oder sie sehen, wo ist sie oft, was tut sie?

Mütter prägen ihre Kinder und unsere Mütter haben uns geprägt. Manche Menschen haben zwei Mütter, diejenige, die sie geboren haben und diejenige, die ihnen Mutter geworden ist. Wir alle können von unseren Müttern erzählen, wir alle können unsere Geschichte erzählen und wenn wir sie einander erzählen würden, würden wir Geschichten hören, die von Freude und Stolz, von Sorgen und Ängsten, von Lachen und Weinen, von Nähe und von Abschieden berichten.

Was würden wohl Kain und Abel von ihrer Mutter Eva erzählen?

Isaak von seiner Mutter Sara – Ismael von seiner Mutter Hagar – Jakob und Esau von ihrer Mutter Rebekka -Josef und Benjamin von ihrer Mutter Rahel- Mirjam, Aaron und Moses von ihrer Mutter Jochebed -Samuel von seiner Mutter Hanna -Obed von seiner Mutter Ruth -Johannes von seiner Mutter Elisabeth- Jesus, Joses, Judas und Simon von ihrer Mutter Maria?

Wir wissen wenig über die Beziehung dieser Kinder zu ihren Müttern. Wir wissen aber, dass diesen Frauen Gott viel zugetraut hat. Die Lebensgeschichte dieser Mütter sind geprägt von grosser Kraft, aber auch Schwachheit und Scham, von grossem Glück, aber auch tiefer Sorge, von Gottvertrauen, aber auch starken Zweifeln.

In biblischer Zeit war vieles ganz anders als heute. Die Lebensumstände und gesellschaftlichen Bedingungen waren grundlegend anders. Zu allen Zeiten sind Frauen und Mütter mit unterschiedlichen Rollenbildern, Aufgaben und Herausforderungen, aber auch mit unterschiedlichen Chancen und Möglichkeiten konfrontiert. Auch heute, gerade jetzt in dieser Zeit, müssen wir wieder lernen, mit völlig neuen Herausforderungen und Verhaltensweisen umzugehen. Ich denke, dass eines aber für alle Zeiten gilt: Mütter können viel, machen Fehler, lernen aus ihren Fehlern und haben ihre blinden Flecken, sind wunderbar und manchmal schwierig, sind herzlich und auch überfordert – sie sind wie sie sind, und sie sind gut so.

Am Muttertag können wir uns erinnern, was wir an unseren Müttern schätzen oder geschätzt haben, lieb haben oder hatten, und können ihnen dafür danken.

Wir können uns auch an das, was wir vielleicht als schwierig erlebt haben, erinnern. Keine Beziehung zwischen Kindern und Müttern ist immer nur harmonisch. Unsere Mütter sind mit uns in ein unbekanntes Land aufgebrochen. Niemand weiss, was das Leben bringt und es ist Glück, wenn wir sagen können: So wie es ist, ist es gut. So wie es war, so war es gut.

Heute am Muttertag wünsche ich Ihnen allen, dass Sie in Dankbarkeit an Ihre Mutter denken und ihr danken, danken für das, was sie Ihnen als Mensch bedeutet. Schön, dass es dich gibt! Schön, dass es dich gab!

«Wenn meine Mutter lächelte, wurde ihr schönes Gesicht noch unvergleichlich viel schöner, und alles ringsum schien heiter und froh. Ich glaube, das, was man die Schönheit eines Gesichtes nennt, besteht allein im Lächeln.»

Leo Tolstoi

Wir alle haben eine Mutter – wir alle haben aber auch Väter, Grosseltern, Urgrosseltern – wir haben Freundinnen und Freunde, wir haben Nachbarn und Bekannte, wir haben Kolleginnen und Kollegen – wir Menschen haben uns Menschen und wir gehören zueinander:

Jesus Christus hat nicht von Familien geträumt, sondern von Schwestern und Brüdern, nicht von der Liebe zu zweit oder dritt, sondern vom Leben in Fülle für alle, vom Reich Gottes mit einem weiten Blick für das Leben, dass es nicht mehr gebe oben und unten, wichtig und unwichtig; dass der göttliche Schein die Küchen und Kinderzimmer, die Fabriken, Werkstätte und Büros, die Arbeitsorte, Wirkstätten und Lebensorte dieser Erde zu füllen beginne, weil wir uns miteinander – wirklich miteinander – sorgen um das, was Menschen, Tiere und Pflanzen zum Leben brauchen.

Du, Anfang und Ende, Jesus Christus hast sie anbrechen lassen, diese Zeit. Du wirst sie vollenden. Wir danken dir, Gott, für alle Liebe, die wirksam wird.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die grösste unter ihnen aber ist die Liebe.

1.Korinther 13,13

Mit herzlichen Grüssen Susann Müller, Pfrn. Zimmerwald